Was hat dich bewogen, beim Emotionalen Schreiben mitzumachen?
Ich habe schon immer gerne geschrieben. Im Schreiben konnte ich vieles verarbeiten. Deshalb haben mich deine Schreibkurse angesprochen.
Gab es am Anfang eine Hürde für dich oder eine Herausforderung?
Ich hatte Sorge, den Anforderungen nicht zu genügen. Eine Hürde war, mich sichtbar zu machen, etwas von mir preiszugeben, mich zu zeigen und meine Texte vorzulesen. Was, wenn es die anderen nicht interessiert, was ich schreibe? Oder wenn sie meine Texte irgendwie fad und langweilig finden?
Wie sind deine Erfahrungen, wie ist das Schreiben jetzt für dich?
Ich habe mich von Anfang an in allen verschiedenen Schreibzeiten sehr wohl gefühlt. Mich beruhigt, dass es ganz normale Frauen sind, keine professionellen Schreibprofis. Ich werde angenommen und du führt behutsam, mit einem guten Konzept durch den Abend.
Was bewirkt das Emotionale Schreiben bei dir?
Schreiben ist ein Prozess. Wir entwickeln uns weiter. Lernen uns besser kennen. Meine Texte werden gefühlvoller und intensiver. So dass ich häufig noch tagelang oder immer wieder zwischendurch über unsere Schreibimpulse nachdenke.
ICH BIN OFFENER GEWORDEN, KLARER
Die Themen wirken nach. Wir setzen uns mit unseren Werten, unseren Stärken und Schwächen auseinander. Dadurch lernen wir uns besser kennen, bekommen mehr Klarheit im Schreiben. Für mich ist es Persönlichkeitsentwicklung. Ich habe mich seitdem weiterentwickelt: Ich bin offener geworden, klarer im Sprechen. Meine Wahrnehmung hat sich geschärft.
Wie meinst du das?
In deinen Schreibzeiten ist mir bewusst geworden, dass ich sehr schnell spreche, mich dabei gehetzt und getrieben fühle. Außerdem spreche ich sachlich, drücke mich vage aus und halte mich eher zurück. Diese Haltung habe ich mir in meiner Herkunftsfamilie angeeignet. Aber ich spüre, dass ich tief in mir ganz anders bin. Erkenntnisse, die mich erstaunen.
In deinen Gruppen habe ich – anders als in meiner Herkunftsfamilie – die Erfahrung gemacht, dass die Frauen mir gerne zuhören. Ich fühle mich gesehen und gehört. Und es ist schön, dass du auf meine Texte eingehst. Du machst das sehr professionell und bringst mich dadurch weiter.
Mich bereichern die Texte der Anderen sehr
Wir schreiben zu bestimmten Themen lange Texte. Diese werden dann verdichtet, in Gedichtform. Es gibt so viele verschiedene Gedichtformen, dabei ist es unwichtig, ob sich die Wörter reimen. Wir lernen beides: lange gefühlsbetonte, ausführliche Texte und dann auch kurze, mit wenigen Worten aufs Wesentliche zusammengefasste.
Ich bin immer wieder erstaunt, was da auf dem Papier entsteht. Auch profitieren wir voneinander. Es ist eine stetige Weiterentwicklung. Mich bereichern die Texte der anderen sehr. Alles ist erlaubt, ich habe auch gelernt, unkonkret sein zu dürfen. Nichts muss, alles kann.
Das Vorlesen – und dabei zu merken, dass ich mich gar nicht abhetzen muss, weil mir alle gerne zuhören – ist ein so beglückendes Gefühl.
MEIN KLEINES INTERVIEW MIT ELKE
Seit Januar 2023 ist Elke beim wöchentlichen gemeinsamen Schreiben dabei. Außerdem hat sie an den drei Themen-Schreibzeiten HEIMAT, WAS TRÄGT und WAS BLEIBT teilgenommen. Ihre allererste Schreibzeit war die Kriegsenkelinnen-Intensiv-Schreibzeit TRAUER. Elke Zapfe ist Jahrgang 1964 und lebt in Rheinbach.
Ich traue mir mehr zu
Hat das Emotionale Schreiben Einfluss auf deinen Alltag?
Ja. Mich trägt das Schreiben durch die Woche. Ich beobachte mich beim Sprechen und nehme mehr wahr. Natürlich gelingt dies nicht immer. Das Schreiben hilft mir, mich zu regenerieren. Ich habe ja schon immer gerne geschrieben, nun hat das Anfertigen von Texten mehr Struktur bekommen. Für mich ist es sogar so als ob mehr Ruhe in mein Leben eingekehrt ist. Ich bin mutiger geworden, irgendwie offener. Ich traue mir mehr zu.
Kannst du mir ein konkretes Beispiel nennen?
Ja das kann ich. Vor ein paar Wochen ist eine langjährige Weggefährtin von mir gestorben. Wir haben viele Jahre miteinander getanzt. Ich hatte ihre Familie nie kennengelernt, da wir uns nur vom Tanzen her kannten und ansonsten privat wenig miteinander zu tun hatten. Ich habe der Familie einen Brief geschickt. Darin habe ich geschrieben, was die Verstorbene für mich bedeutete, wie sehr ich sie mochte. So persönlich und offen hätte ich früher niemals geschrieben.
Der Mann und die Schwester der Verstorbenen waren so berührt von meinen Zeilen, dass sie mich sofort angerufen haben. Aus diesem Brief heraus entwickelte sich ein sehr freundlicher Kontakt. Inzwischen kenne ich ihren Sohn und ihren Mann und ich bedauere sehr, dass wir uns nicht zu Lebzeiten meiner Bekannten kennengelernt haben.
Mehr Farbe, mehr Weite, mehr Tiefe
Auch sonst habe ich das Gefühl, dass meine Texte tiefgründiger geworden sind, ich gehe offener auf andere Menschen zu.
Es ist, als ob mein Leben mehr Farbe bekommen hat. Mehr Weite, ein bisschen ist es, als ob ich eine neue Sprache lerne. Eine gefühlsvollere, tiefgründigere.
Aber auch für Abgrenzung finde ich jetzt eher Worte. Denn manchmal ist es besser, unkonkret und allgemein zu bleiben. Je nach Situation. Allein diese Erkenntnisse sind für mich so bereichernd.
Mein Leben hat mehr Tiefe bekommen, dafür bin ich dir dankbar.
Liebe Elke, hab herzlichen Dank für deine Antworten.